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BEINBEUGER

veröffentlicht am 05.06.2020

 

Im Fitness-Segment wird und wurde leider der elementare Fehler begangenen, das gesamte Trainings- und Übungsverständnis auf struktureller Anatomie aufzubauen, das heißt auf der Anatomie eines toten, nicht mehr aktiv am Leben teilnehmenden Körpers. Zusammen mit den Ursprüngen des Bodybuildings war und ist dies ein Nährboden für isolierte Trainingsgeräte und Trainingsübungen.

Die Grundfunktion: Aufrecht auf beiden Beinen fortbewegen

Um ein Individuum – ganz egal, ob es sich um einen Leistungssportler, Breitensportler oder Normalverbraucher handelt – optimal zu trainieren, ist ein grundlegendes, funktionelles Verständnis des lebenden Menschen unabdingbar. Nur wer versteht, wie sich ein Mensch in einer Situation bewegen sollte und wie er sich tatsächlich bewegt, kann daraus funktionelle Strategien entwickeln. Ein Blick in Anatomiebücher zeigt, dass sich der Mensch scheinbar nur in einer sagittalen Achse bewegt. Frontal und transversal beschreiben sie Muskeln – wenn überhaupt – nur sehr statisch. Die wichtigste Funktion des Menschen ist es nicht, auf dem Bauch, Rücken oder Po zu liegen oder zu sitzen, sondern sich fortzubewegen. Und zwar in effektivster Weise: aufrecht auf beiden Beinen. In dieser funktionalen Bewegung ist es sinnvoll, sich die Aufgabe der Muskeln vor Augen zu führen. Denn hieraus ist eine spezifische und sportartabhängige Betrachtung möglich.

Das Beispiel Beinbeuger

Schon die Namensgebung zeigt, wie isoliert dieser Muskel bislang betrachtet wurde. Sicher, er beugt das Bein im Stand oder auch im Liegen. Aber wer ist schon einmal eine Straße entlanggeschlendert und hat willentlich den Beinbeuger gebeugt?

Besucher von Fitnessstudios liegen in Bauchlage auf einem mehrere Tausend Euro teuren „Beinbeuger-Gerät“. So ein Gerät ist äußerst effektiv für den Muskelaufbau, aber nicht funktionell. Es fehlen zwei Dinge: die frontale und die transversale Achse. Es müsste so gesehen also drei verschiedene Beinbeuger Geräte geben, um die Bewegung zu vervollständigen. Denn ausnahmslos jedes Gelenk des menschlichen Körpers funktioniert in drei Achsen und sollte aus funktioneller Sicht auch in all diesen bewegt und trainiert werden.

Etwas genauer: Der Beinbeuger oder besser Hamstring arbeitet – wie übrigens alle anderen Muskeln auch – nicht isoliert, sondern ist Teil einer ganzen Muskelgruppe. Die Gruppe besteht aus Semimenbranosus und Semitendinosus (die beiden inneren/medialen Köpfe), sowie Biceps femoris mit dem langen und dem kurzen Kopf als den beiden äußeren/lateralen Köpfen. Die ersten drei setzen am Becken am Tuber ischiadicum an. Der Biceps femoris mit dem kürzeren Köpfchen hat seinen Ursprung am hinteren Teil des Oberschenkelknochens. Der Semimenbranosus läuft zum mittleren Teil des Schienbeins (Tibia) und den Soft Tissues (weiches Gewebe) des hinteren mittleren Knieanteils. Der Semitendinosus läuft eher zum vorderen mittleren Bereich der Tibia, der Biceps femoris aber zu den äußeren Anteilen des Fibulaköpfchens (Wadenbein).

Der Beinbeuger längt

Anhand der Ursprünge und Ansätze dieser Muskelgruppe lässt sich erahnen, dass eine rein sagittal ausgerichtete Arbeitsweise überhaupt nicht das Ziel sein kann. Auf Grund des Ansatzes am Becken und einer relativen Bewegung des Beckens zum Oberschenkel in der frontalen Ebene wird der Hamstring in Adduktion und/oder Abduktion gelengt. Ist er damit auch ein Hüftpendler?

Am Unterschenkel scheint es so zu sein, als ob der Hamstring den Unterschenkel geradezu von hinten transversal umarmen möchte. Ist er damit jetzt auch der Kniedreher?

Wenn wir im Begriff sind, den linken Fuß vor den rechten zu setzen, kippt das Becken nach vorne. Dies bedeutet eine Längung des Hamstrings am Hüftgelenk, also jener drei Köpfe, die am Becken ansetzen. Längung ist der „Load“, das exzentrische Dehnen von Muskulatur als Vorbereitung für die konzentrische Phase („Explode“). Trifft unsere linke Ferse auf den Boden, beugt sich aufgrund der wirkenden Schwerkraft des Eigengewichts und der eigenen Beschleunigung das Knie. Wer beugt also das Knie?

Die Schwerkraft und nicht der Beinbeuger! Die Kniebeugung erfolgt durch die natürlichen Gegebenheiten von Mutter Natur. Noch einmal: Der Hamstring dehnt sich am Hüftgelenk. Er längt also. Zur selben Zeit gibt es eine Kniebeugung, also eine Verkürzung des Hamstrings am Kniegelenk.

Der Beinbeuger arbeitet exkonzentrisch

Anatomiebücher kennen zu Arbeitsweisen der Muskulatur genau drei Möglichkeiten:

  • konzentrisch
  • exzentrisch
  • isometrisch

Wie aber arbeitet der Hamstring nach der obigen Beschreibung tatsächlich? Exkonzentrisch! Aber nur in der sagittalen Ebene und nur in der Bewegung nach vorne.

In der frontalen Ebene geschieht Folgendes:

Beim Auftreffen der Ferse auf den Boden wird durch eine Pronation des Fußes und der dadurch nach oben hin entstehenden Kettenreaktion das Knie nach innen fallen. Von vorne, also frontal betrachtet, erfährt das Knie eine Abduktion (Valgus). Die an der Innenseite dieses Knies verlaufenden Muskeln (und natürlich auch Bandapparate) bremsen diese Abduktion ab und begünstigen eine entstehende Adduktion (Load to Explode).

In der dritten, der transversalen Ebene spielt sich Folgendes ab:

Da die Ferse beim Auftreffen des vorderen Fußes auf den Boden proniert, rotiert das Schienbein nach innen und mit dem Schienbein auch der Oberschenkel. Eine sogenannte Kettenreaktion. Wie schon oben erwähnt, „umgreift“ der Hamstring den Unterschenkel. Er setzt an den hinteren Außenenden unterhalb des Kniegelenks an. Daher hat er auch hier Einfluss. Er wirkt einer Knie- und auch Hüftinnenrotation entgegen. So gesehen ist er also ein Außenrotator.

Zusammenfassend ist der Hamstring also ein exkonzentrisch und dreidimensional arbeitender Muskel. Dadurch, dass er den Load und den Explode durch Ansätze am Becken und Unterschenkel verursacht, hat er auch großen Einfluss auf Bewegungen des Fußes und Rumpfes.

Die Quintessenz daraus?

Es gibt kein Gerät und wird auch niemals ein Gerät geben, das der unglaublichen Funktion dieses Muskels voll und ganz Rechnung tragen wird! Train smart, train functional!

 

Quelle: FUNCTIONAL TRAINING

Autor: Pat Herzog

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